ANDREAS KOCKS 2012

Teckbote vom 4. April 2012 (Kai Bauer)
Andreas Kocks: „in the loop“, Städtische Galerie im Kornhaus Kirchheim unter Teck.

Der 1960 in Oberhausen geborene Künstler Andreas Kocks studierte in Düsseldorf unter anderem bei Ulrich Rückriem und Norbert Kricke und lebt in München und New York. Für die Städtische Galerie im Kornhaus hat er die wandfüllende Installation „in the loop“ entwickelt. Schon wenn man sich dem Gebäude von außen nähert, fallen die überdimensionalen schwarzen Linienschleifen auf, die der Künstler auf der Rückwand des Ausstellungsraums appliziert hat.

Die geschwungenen Linien, die scheinbar ein riesiger schwarzer Pinsel gesetzt hat, behandeln die Wand wie eine herkömmliche Bildfläche, deren Formatgrenzen sie allerdings wie bei einer All-over-Struktur überschreiten. Die Situation im Innenraum vor der Bildwand wird zum Bewegungs- und Passageraum für den Betrachter. Sie reflektiert  damit die Situation von Passanten unter den Arkaden des Gebäudes vor dem Eingang. Der Raum wird aber gleichzeitig wie ein herkömmlicher Ausstellungsraum behandelt, denn an den seitlichen Wänden sieht man Glasrahmen mit kleineren Arbeiten des Künstlers.

Die aus der Ferne spontan wirkende Pinselführung erweist sich von nahem jedoch als ausgeklügelte Montagearbeit, bei der die riesigen „brushstrokes“ aus einzeln ausgeschnittenen Papierstücken, die mit Grafit geschwärzt wurden, zusammengesetzt und mit Nadeln an und vor der Wand befestigt sind. Einzelne Papierstreifen überlagern sich und stehen dadurch teilweise etwas von der Wand ab. Dadurch ragt die Arbeit mit vielen kleinen Flächen in den Raum hinaus ohne dabei zu einem massiven Relief zu werden. Im rechten Schaufenster sind das Modell und die Konstruktionszeichnungen zu sehen, in denen der Künstler die Wandarbeit genauestens vorbereitet hat. Es ist eine Art „Freezing“, das Einfrieren einer scheinbar spontanen Pinselbewegung, die immer wieder ausprobiert, ausgesucht und verbessert wurde. Eine ähnliche Arbeitsweise zeigt Andreas Kocks in den kleineren Papierarbeiten, in denen Aquarellfarbe, Tusche und Grafit in Schlingen und Klecksen ausgeschnitten und voreinander gesetzt werden. Sie schwingen in der Fläche ebenfalls über den Formatrand und ragen in den Raum zwischen Papierfläche und Rahmenglas hinaus.  Ob als Wandarbeit oder gerahmte Papiermontage: auf den ersten Blick wirken die Zeichnungen von Andreas Kocks spontan und gestisch, heftig über Raum- und Formatgrenzen hinausbrechend. Beim genaueren Hinsehen sind die „Brushstrokes“ und „Splashes“, die der Bildsprache von Comics, des Abstract Expressionism und der amerikanischen Pop-Art entstammen, wie ihre Vorbilder nur die artifizielle Darstellung von Spontaneität. Ihre ursprüngliche Lebendigkeit wird in verschiedenen Arbeitsphasen kontrolliert und das Ergebnis aus vielen Versuchen synthetisiert. Ihre Wirkung ist genau geplant, kalkuliert und auf den vorgesehenen Ausstellungsraum bezogen.
Allerdings: „in the loop“ heißt „im Bilde sein“, und genau das ist man relativ schnell in der Ausstellung von Andreas Kocks. Die Parameter Bildfläche, Ausstellungswand, Raum und Betrachtersituation sind bereits vielfach, beispielsweise bei Lucio Fontanas Schnittbildern, Robert Rymans Monochromien oder bei den zu selbstständigen Wandobjekten freigestellten „Brushstrokes“ von Roy Lichtenstein künstlerisch reflektiert worden. Den Anspruch formal „entgrenzend“ zu wirken erfüllen Kocks Arbeiten nur insoweit, dass sie im postmodernen Sinne mit Strategien aus der Kunstgeschichte arbeiten. Der Schritt, die heutige Entgrenzung des Kontextes, nämlich die durch die Digitalisierung turboartig beschleunigten Bildwelten, und die Wirkung der dabei zu ökonomischen Zwecken verklausulierten Wahrnehmungsprozesse auf den Betrachter zu thematisieren, wird nicht gemacht.

© Kai Bauer 2012

 
ANDREAS KOCKS  IN THE LOOP
 ... Den Künstler interessiert die Metamorphose des
architektonischen Raums in ein Geschehen, 
in eine sinnliche Erfahrung. Seine raumgreifenden, aus
Papier geschnittenen Wandarbeiten  besetzen den zuvor klar definierten Raum. Durch den Eingriff des 
Künstlers gerät er gleichsam in Bewegung.
Er wird zum physischen Erlebnis, zu etwas Dynamischen.
Pinselstrichgleich, zeichnen sich in Licht und Schatten verschiedene Ebenen ab, die doch nur millimeter- oder zentimetertief reichenoder sich nur einen Atemzug weit aus der Fläche erheben, relief-
bildend ausgeschnitten oder hauchfein in das leichte, geradezu 
luftige Material eingeschnitzt sind. Sie treten damit trotz und gerade wegen der Leichtigkeit und Verletzlichkeit des Materials Papier in einen spannungsvollen Dialog mit dem Betrachter und entfalten eine große körperliche Wirkung. Die „schrittweise“ Wahrnehmung und Veränderung seines Standpunktes macht den Betrachter zum Entdecker des dynamischen Raumes  und führt ihn sprichwörtlich „in the 
loop“.

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